Braunschweig, 10. Juli 2020
Hallo,
mein Name ist Kofi und ich gehöre zu Amo – Braunschweig Postkolonial.
Uns gibt es seit Mitte 2018. Wir sind ein rassismuskritisches intersektional und progressiv agierendes Kollektiv, unterschiedlicher gesellschaftlicher Positionierungen. Wir arbeiten vor allem in der rassismuskritischen Bildungsarbeit zu den Themen Empowerment und Powersharing, Privilegien der weißen Mehrheitsgesellschaft, Kolonialismus und strukturellem Rassismus.
Ich denke das mittlerweile allen hier Anwesenden klar ist warum wir hier sind. Die Ermordung von George Floyd hat in den USA und weltweit zu starken Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus geführt.
Dieser Mord hat uns alle Entsetzt und in Schock versetzt. Er hat die Debatte um Rassismus, besonders in den sozialen Medien, neu entfacht.
Wir nehmen wahr, dass dies viele Menschen dazu bewegt hat Beiträge zu posten und Inhalte zu teilen, in denen sie ihre Wut und ihre Fassungslosigkeit äußern. Unser Eindruck ist, dass für viele dies ein außergewöhnlicher Fall zu sein scheint.
Deshalb ist es uns ein großes Anliegen auf folgendes hinzuweisen:
- Solche Fälle passieren Tag täglich weltweit
- Es handelt sich um einen weiteren von vielen durch Polizeigewalt verursachten Mord in den USA, auch wenn dieser besonders grausam zu sein scheint. In den letzten 5 Jahren wurden in den USA 5338 Menschen durch Polizei getötet. Schwarze US-amerikanerinnen sind dabei mehr als doppelt so häufig gegenüber weissen US-amerikanerinnen betroffen.
- Auch in Deutschland erfahren Schwarze Menschen und People of Color Übergriffe durch die Polizei und die Sicherheitsbehörden. Sei es durch racial profiling nämlich die sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen, sei es unter Generalverdacht gestellt zu werden oder körperliche und psychische Gewalt zu erfahren.
- Gleichzeitig machen sie regelmäßig die Erfahrungen, dass bei Aussagen ihre Glaubwürdigkeit massiv in Frage gestellt wird.
Erinnert euch an die Ermittlungen gegen die eigenen Familienmitglieder der durch den NSU getöteten Menschen. - Zu guter Letzt gibt es kaum Erfolgsaussichten das in Fällen von Polizeigewalt Ermittlungen aufgenommen werden.
In Deutschland sind nach unabhängigen Untersuchungen seit 1990 159 People of Color und Schwarzen Menschen IN Polizeigewahrsam umgekommen!
Um nur einige Namen zu nennen:
Hussam Fadl, erschossen im September 2016 in einer Berliner Geflüchtetenunterkunft durch Polizisten.
Matiullah Jabarkhil, gestorben im April 2018 in Fulda von der Polizei erschossen.
Ahmed Amad, erlag im September 2018 in Kleve seinen schweren Brandverletzungen, die er in einer Gefängniszelle erlitten hatte.
Rooble Muse Warsame, gestorben im Februar 2019 in Polizeigewahrsam in Schweinfurt unter bislang ungeklärten Umständen.
William Tonou-Mbobda, gestorben im April 2019, nachdem er vom sog. Security-Personal einer Hamburger Psychiatrie angegriffen worden war.
Und als wahrscheinlich bekanntester Fall in Deutschland:
Oury Jalloh, Verbrannte 2005 in Polizeigewahrsam in einer Zelle in Desau
Das diese Namen nicht vergessen werden und ihre Todesursachen in den Medien thematisiert werden, darum kümmern sich nur zivilgesellschaftliche Initiativen.
8 Minuten und 46 Sekunden dauerte die Ermordung George Floyds. Die Dokumentation dieses Mordes fand in bewegtem Bild statt. 8 Minuten und 46 Sekunden möchten wir nun mit euch schweigen. Auch zu ehren der eben genannten und all jener nicht genannten People of Color, die in Deutschland durch Polizeigewalt ihr Leben verloren.
SCHWEIGEN..
REST IN POWER!
Wie begegnen wir nun dieser Fassungslosigkeit?
Wir als Amo – Braunschweig Postkolonial haben die strukturelle Benachteiligung von Schwarzen Menschen und People of Color schon lange satt und thematisieren seit Jahren ein notwendiges Umdenken innerhalb der Gesellschaft.
Rassismus ist keine individuelle Einstellung, sondern ein global verankertes System, indem wir alle Leben. In diesem System gibt es eine privilegierte und eine diskriminierte Positionierung, die NICHT frei wählbar ist! Rassismus ist auch immer intersektional zu denken. Was die Verschränkung verschiedener Identitätsmerkmale wie:
Gender, Alter, Klasse, sexuelle Orientierung und weiteren Merkmalen meint.
Ausgehend von diesem Umstand fordern wir:
Von weiss-positionierten Menschen: Rassismus ist nicht nur das Problem von People of Color, sondern der gesamten Gesellschaft. Macht euch eurer weißen Privilegien bewusst und setzt diese konstruktiv ein.
Hört People of Color zu, wenn wir euch von unseren Erfahrungen erzählen wollen.
Unterstützt uns! Verbündet euch mit uns!
Solidarität heißt nicht einmal auf einer Demonstration zu erscheinen. Rassismus zu verstehen und die eigene Rolle in diesem rassistischen System zu erkennen ist ein Prozess. Informiert euch! Es gibt viele gute Bücher, Filme und Podcasts, die das komplexe Thema Rassismus mit seinen vielen Ebenen darstellen. Besucht Seminare und Vorträge und setzt euch mit eurem gesellschaftlichen Status auseinander, auch dann noch, wenn die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit abgeflacht ist.
Denn für People of Color ist es nie eine Entscheidung, ob sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollen oder nicht. Sie müssen es. Tag für Tag.
Und an euch, Schwarze Menschen und People of Color möchte ich meine letzten Worte dieses Beitrags richten:“ Ihr seid nicht allein. Den Schmerz, den ihr fühlt, die Trauer, Angst und Unsicherheit. Den fühle ich auch. Nehmt euch Zeit, um zu heilen. Lasst euch von niemandem sagen wie euer Schmerz auszusehen hat. Vernetzt euch untereinander. Bildet „safer spaces“, also sicherere Räume, in denen ihr mit anderen rassismuserfahrenen Menschen sprechen könnt.
Schließt euch zusammen, um euren Stimmen und Forderungen Gehör zu verschaffen.
Gerechtigkeit soll, kann und darf nicht warten!